
Diese Arbeit entstand als investigative Teamarbeit mit Michael Sträter, Theresa Steudel, Felix Lieschke und Savannah Cosma
Negative Befunde für Tests, die gar nicht stattgefunden haben: Im Kreis Emmendingen wird wegen Unregelmäßigkeiten bei Schnelltests ermittelt. Eine Anzeige wegen Abrechnungsbetrugs liegt vor.
Die ersten Leser-Meldungen über Unregelmäßigkeiten bei einzelnen Testzentren des bundesweit agierenden Anbieters H.i. Glove & Service GmbH erreichten die Emmendinger Redaktion am Mittwoch. „Ominöse Testzentren mit negativen Testergebnissen ohne Test“ stand in der Betreffzeile der E-Mail. Darin schildert ein Paar seine Erlebnisse.
Das Paar habe Termine für einen PCR-Test in Endingen gebucht gehabt. Am Testzentrum angekommen habe es jedoch die Auskunft gegeben, dass PCR-Tests gar nicht vorgenommen würden. Stattdessen sei das Paar an andere Testzentren verwiesen worden und habe den PCR-Test doch noch absolvieren können. Parallel dazu aber sei eine E-Mail vom Testzentrum in Endingen eingegangen – mit vier Bescheinigungen für negative Antigentests im Anhang, „obwohl kein Schnelltest durchgeführt wurde“.
Ein anderer Betroffener schildert seine Erfahrung mit einem Testzentrum so: „Teststation beim Rebstock in Endingen. Termin gemacht, trotzdem 45 Minuten Wartezeit angesagt, keine Lust zu warten gehabt und wieder gegangen. Und, oh Wunder, es kam trotzdem ein negatives Ergebnis per Mail, schätze mal, dass der auch abgerechnet wurde.“
Kein gründlicher Abstrich?
Weitere Leser haben sich bei der BZ mit schlechten Erfahrungen in verschiedenen Teststationen des Betreibers H.i. Glove & Service, auch als H.i. Competence bekannt, gemeldet. So sei der Abstrich zum Beispiel nicht gründlich genug erfolgt, das Wattestäbchen sei nur ein paar Sekunden und für ein paar Drehungen in die Nase geschoben worden.
Eine Mitarbeiterin des DRK bestätigt: Korrekt durchgeführt müssen auch Abstriche im unteren Nasenraum „unangenehm sein“ und mindestens zehn Sekunden pro Seite dauern, damit das Ergebnis verlässlich sei.
Anzeige wegen Verdacht auf Abrechnungsbetrug
Die Redaktion machte sich ein eigenes Bild und buchte am Donnerstag und Freitag insgesamt 15 Termine in verschiedenen Testzentren des Anbieters im Kreis Emmendingen, nahm vier Termine wahr und ließ den Rest verfallen – darunter auch einen Termin in einem Herbolzheimer Testzentrum. Trotzdem erreichte die Redaktion ein negatives Testergebnis per E-Mail. Nochmal wurde ein Test gebucht und nicht wahrgenommen. Dieses Mal kam die Meldung: Testergebnis ungültig. Weitere Fehlbescheinigungen wurden bislang nicht ausgestellt.
Gegen das privat betriebene Testzentrum in Gutach-Bleibach liegt derzeit zudem eine Anzeige vor, wie die Pressestelle des Polizeipräsidiums Freiburg auf BZ-Anfrage mitteilt. Es bestehe der Verdacht auf Abrechnungsbetrug: „Es wurden Kosten für Tests eingereicht, die gar nicht durchgeführt wurden.“ Seit Freitag ist die Teststation im Online-Buchungsportal der Firma H.i. Glove & Service – oft als H.i. Competence bezeichnet – nicht mehr zu finden, vor Ort bei der Teststation am Rewe-Markt hängt ein Hinweis an der Tür: „Heute geschlossen.“ Der BZ sind mehrere Personen bekannt, die noch am Mittwoch und Donnerstag mit gebuchtem Termin vor dem gleichen Hinweisschild bei der von H.i. betriebenen Teststation gestanden hatten.
Auch die Stadt Waldkirch, wo man bis Freitag noch Termine bei einem Testzentrum des Unternehmens buchen konnt, teilt auf BZ-Nachfrage mit, dass die Ortspolizeibehörde „bei den Zahlen bezüglich der Teststationen und deren Testungen Auffälligkeiten festgestellt und entsprechende Vor-Ort-Überprüfungen veranlasst“ habe. Und weiter: „Diese Überprüfungen haben tatsächlich Unregelmäßigkeiten ergeben“. Weitere Ermittlungen würden laufen. In Elzach habe es laut Bürgermeister Roland Tibi Beschwerden über das von H.i. Glove & Service betriebene Testcenter gegeben. In diesen „Beschwerdemails“, die an das Gesundheitsamt des Kreises Emmendingenweitergeleitet wurden, sei zum Beispiel mangelhafte Schutzkleidung kritisiert worden.
Zuständigkeit für Kontrolle in Endingen nicht geklärt
Endingens Bürgermeister Tobias Metz äußert sich mit den Ergebnissen der Recherche konfrontiert hörbar überrascht. Das Unternehmen betreibt laut Internetseite zwei Testzentren in Endingen und eines im Ortsteil Königschaffhausen. Metz bestätigt, dass einzelne Beschwerden bereits in der vergangenen Woche beim Endinger Rathaus eingegangen seien. Aktuell befinde er sich im Urlaub und könne über den aktuellen Stand nichts sagen. Bei den Beschwerden sei es allerdings um die Verfügbarkeit von PCR-Tests gegangen. In einem Fall sei das Testergebnis sehr schnell zugestellt worden.
Metz habe sich selbst mit Mitarbeitenden des Rathauses kurz nach der Inbetriebnahme in einem der Testzentren testen lassen. „Dabei wurden auch von unserer Seite Dinge bemängelt“, sagt er. „Wir wollen uns nicht aus der Verantwortung herausnehmen“, ergänzt Metz, aber die Zuständigkeiten für Kontrollen seien bisher nicht hundertprozentig geklärt gewesen. Für die Genehmigung sei die Stadt jedenfalls nicht zuständig, wenn ein Testzentrum auf privatem Gelände errichtet werde.
Unternehmen reagiert nicht auf Nachfrage
Ulrich Spitzmüller, Pressesprecher des Landratsamts, bestätigt auf Nachfrage, dass das Gesundheitsamt in den vergangenen Tagen verschiedene Kontrollen vorgenommen habe – allerdings würden sich diese auf die Hygienestandards beziehen. Würden Bescheinigungen ohne Tests versendet, handele es sich um Betrug, dem nach einer Anzeige die Polizeibehörden nachzugehen hätten.
Eine Stellungnahme des Unternehmens H.i. Glove & Service GmbH, das zur Stölting Service Group mit Sitz in Gelsenkirchen gehört, war trotz mehrfacher telefonischer Anfragen wie auch einer Anfrage per E-Mail bis zum Redaktionsschluss nicht erhältlich.
Kommentar zum Thema: Im Kreis Emmendingen steht Kommerz über dem Gesundheitswohl – von Tamara Keller
Zu Beginn der Pandemie wurde sie noch hochgelobt: die Solidarität. Damit ist es wohl nun endgültig vorbei. Der bundesweite Schnelltestskandal findet auch im Kleinen statt: Vergangene Woche sind mehrere negative Testergebnisse im Kreis Emmendingen verschickt worden – ohne dass eine Testung stattfand. Je nachdem, wie schnell sich das herumgesprochen hat, konnten Mitbürger und Mitbürgerinnen gezielt diese Lücke nutzen, um sich bei einem Restaurant- oder Schwimmbadbesuch zu vergnügen. Es bedeutet aber auch, dass diese Tests sehr wahrscheinlich abgerechnet werden – also damit nur das schnell verdiente Geld für einzelne Unternehmer und Unternehmerinnen im Fokus steht. Wer dachte, dass sich durch eine weltweite Pandemie etwas in unserer Gesellschaft verändert, der ist spätestens jetzt in der Realität angekommen: Kommerz steht über dem Gesundheits- und Gemeinschaftswohl.
Immerhin solidarisch verhalten sich diejenigen, die Unregelmäßigkeiten und Regelbrüche an die Gesundheitsämter, Polizei oder Presse weitermelden. Ohne die Hinweise könnten solche Missstände und Betrügereien nicht aufgedeckt werden. Auch wenn es, aufgrund der sinkenden Inzidenz, ab Montag wahrscheinlich keine Testpflicht im Landkreis mehr gibt, zeigt die Einschätzung der Emmendinger Stadtapothekerin Friederike Habighorst-Klemm eindrücklich, dass die Gefahr der Ansteckung nach wie vor real ist: Sie verzeichnet einen Anstieg von positiven Ergebnissen, die nicht nur durch vermehrte Tests erklärt werden können, sondern auch mit vermehrten Kontakten zu tun haben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Badischen Zeitung