
Die Bahn „Piraten in Batavia“ kommt zurück. Das Tonstudio Calren aus March war von Anfang an für Sound und Figuren zuständig. Theoretisch wäre es möglich, den Ton der Bahn wieder herzustellen.
In den Regieräumen des Tonstudios Calren in March lässt sich per Doppelklick die Europa-Park-Bahn „Piraten in Batavia“ wieder zum Leben erwecken. Zumindest was die Geräuschkulisse betrifft. „Advent, Advent unser ganzes Haus brennt. Hilfe!“, schallt es aus den Boxen. Es ist der Satz den die Frau aus dem brennenden Haus im Winter ruft.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Badischen Zeitung
Geschäftsführer Achim Schnitzer hat die Audio-Dateien mit allen Sätzen, die die Figuren gesprochen haben, nach wie vor in seinem Archiv. „Am Anfang gab es nur einen Soundtrack fürs ganze Jahr. Irgendwann kamen die Winteröffnung und die Halloweensaison hinzu. Dementsprechend machten wir den Soundtrack neu: Mal gruseliger. Mal idyllisch mit mehr Glöckchen.“
Bunt gemalte Skizzen mit verschiedenen Piraten
Das Tonstudio Calren arbeitet seit seiner Gründung in den 80er-Jahren eng mit dem Europa-Park zusammen. Die Marcher Firma vertonte damals zuerst die Geisterbahn. „Die Idee für die holländische Kolonie Batavia wurde im Europa-Park geboren. Wir wurden später hinzugezogen um den Soundtrack zu machen“, sagt Schnitzer. Er besitzt drei große Ordner, in denen sich erste Entwürfe, Kritzeleien, Pläne und Ideen befinden.
„Der Filmarchitekt Ulrich Damrau hat die ersten Entwürfe und Zeichnungen gemacht“, sagt der 61-Jährige. Er nimmt bunt gemalte Skizzen mit verschiedenen Piraten aus einem Ordner. „Anhand dieser Zeichnungen und einer Liste, in der die Sprechfiguren genau beschrieben waren, habe ich mir mit meinem Kollegen Lars Fasbender überlegt, wie wir es vertonen“, so Schnitzer.
„Für die verschiedenen Bereiche mussten unterschiedliche Stimmungen her.“
Achim Schnitzer
Der Mediendesigner erinnert sich an einen Betrunkenen auf der Brücke, der Wasser aus seinem Krug von oben herunter gießt. „Der singt ein Sauflied, lallt zwischendurch etwas und singt dann wieder weiter.“ Die Rollen wurden alle von einer Reihe von Schauspielern und Sängern eingesprochen und gespielt. Neben diesen waren 15 Mitarbeiter in den Prozess involviert. „Mal sind das Formenbauer, mal Mechaniker, mal Maschinenbauer“, so Schnitzer.
Anhand eines Grundrissplans zeigt Schnitzer die verschiedenen Themenbereiche, die es zu vertonen galt: Das Piratenschiff, die holländische Festung, die Jahrmarktsszene, die brennende Stadt und das Dschungelparadies. „Für die verschiedenen Bereiche mussten unterschiedliche Stimmungen her. Wir dachten uns ein Hauptmotiv aus,“ erinnert sich Schnitzer.
Das Tonstudio ließ sich damals von indonesischer und östlicher Musik inspirieren: Sie ist oft pentatonisch und besteht somit nur aus fünf unterschiedlichen Tönen. „Bei bedrohlicher Atmosphäre, zum Beispiel beim Piratenschiff unterlegten wir die Musik mit dumpfen und bassigen Instrumenten. Im Dschungel hingegen war alles leicht und gefällig, da hörte man auch Vogelgezwitscher und andere Tiergeräusche. Es war nicht nur Musik sondern ein Soundtrack aus vielen verschiedenen Tönen wie knarrende Balken, Tiergeräusche und natürlich hatte jede Figur die ihren Mund bewegen konnte auch einen Satz zum sagen.“
„Die ersten Figuren wurden aber noch über verschiedene Frequenzen durch eine Bandmaschine gesteuert und funktionierten mit Hilfe mehrerer Druckluft-Zylinder.“ Die Bandmaschinen erwiesen sich jedoch als unpraktikabel: Nach drei Monaten waren sie matt, hatten keine Höhen mehr und mussten neu hergestellt werden. „Mit zwei Elektronikern entwickelten wir dann 1989 digitale Abspielgeräte“, so Schnitzer. Bis zuletzt funktionierten die Figuren über einen digitalen Spieler der ein MP3 abspielt. Parallel dazu lief ein sogenanntes Midifile, eine Datenstruktur die dafür sorgte, dass sich der Mund der Figuren passend zum Ton bewegte.
Große und kleine Änderungen über die Jahre
Die ersten 18 Jahre sprachen die Bewohner von Batavia in einer Schleife: Sie sagten ihren Satz und waren so programmiert, dass sie nach einer kurzen Pause die gleichen Worte wiederholten. „Der Raum war akustisch nicht getrennt. Das Quasseln der Figuren war ein ziemliches Tohuwabohu“, erzählt Schnitzer. Bei einem größeren Umbau 2005 wurden Lichtschranken verbaut. So fingen die Figuren an synchron zum Schiff zu sprechen und hatten ab sofort verschiedene Sprüche auf Lager.
„Während der vergangenen Jahre wurden fast alle Gesichter ausgetauscht.“
Achim Schnitzer
Schnitzer bestätigt, dass sich über die Jahre hinweg die Bahn zwar langsam aber auch stark veränderte: „Wenn man wirklich eine Szene 1987 fotografiert hätte und dann nochmal 2017 würde der Unterschied auffallen. Im Normalfall sind die Besucher aber bei jedem Besuch einmal durchgefahren und haben vielleicht eine neue Kleinigkeit in der vertrauten Szenerie entdeckt.“ Ein augenauffälliger Umbruch im Gesicht der Piraten war auch der Wechsel von mit Glasfaser verstärkten Kunststoff zu Silikon. „Während der vergangenen Jahre wurden fast alle Gesichter ausgetauscht.“
Zudem fing das Marcher Tonstudio an, Dinge zu visualisieren und kleine Videoszenen kamen nach Batavia.
Besonders war für Schnitzer an der Bahn die neuste Figur, die 2011 hinzu kam: Keith. „Wir haben ihn so genannt, weil er den Look der Figur aus Piraten der Karibik hat, die von Keith Richards gespielt wird.“ Dabei handelte es sich um eine Silikonfigur deren Maske mit Hilfe eines sogenannten Face-Casting erzeugt wurde. Basierend auf einem Gesichtsabdruck eines Schauspielers wurde die Silikonmaske mit jeder Pore und Falte erstellt und wirkte somit lebensechter.
„Technisch wäre es möglich, die Komponenten der Bahn ähnlich wiederherzustellen.“ Achim Schnitzer
Das Skelett unter der Maske wurde von einem 3D-Drucker erzeugt. Früher feilte Schnitzer tagelang um Mechanik und Form in Einklang zu bringen. Heute ist das 3D-Modell im Computer und die Herstellung eines Kopfes dauert zwei Stunden. „Der Keith hat den Besuchern beim Schiffeinstieg eine Einführung in die Geschichte gegeben und unter anderem auch gewarnt: „Ihr wollt da runter?!? Batavia brennt!“ Vorgänger von Keith war ein Papagei, der vor dem Eingang stand.
Durch seine Notizen besitzt Schnitzer detaillierte Aufzeichnungen zum Soundtrack, zu einigen Figuren und mehreren Spezialeffekten. „Technisch wäre es theoretisch möglich, diese Komponenten der Bahn ähnlich wiederherzustellen. Die Frage ist nur, ob das sinnvoll ist. Heutzutage gibt es ganz andere Möglichkeiten“, sagt der Mediendesigner, „zum Glück muss ich nicht entscheiden, wie es weiter geht.“