Tamara Keller

Journalistin

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Wie ein 9-Jähriger das Konzert von den Beginnern beim Stimmen-Festival erlebte

Juli 2017

Eigentlich sollte dies eine normale Konzertkritik zu den Beginnern werden. Doch vor mir auf dem Lörracher Marktplatz steht zufällig Max. Er ist neun Jahre alt und es ist das erste Konzert seines Lebens. „Wann fängt es endlich an?“ fragt er seinen Vater, der ihn begleitet und der die Hamburger Hip-Hop-Gruppe auch gerne hört. Obwohl Max zehn Jahre nach dem ersten kommerziellen Beginner-Erfolg 1998 mit ihrem Album Bambule geboren wurde, ist er Fan: Das „Advanced Chemistry“-Album hat er zu Weihnachten bekommen, die Konzertkarte zum Geburtstag. Max trägt eine blaue Cap, deren Schild nach hinten gedreht ist. „‚Was los, Digga, Ahnma‚ ist mein Lieblingssong!,“ sagt er.

Dieser Artikel erschien zuerst auf fudder.de

Ey yo, ich komm‘ mit großem Herz und Pauken und Trompeten/ für die Obernerds und die saufenden Proleten/ die Messdiener, Crackdealer, Alt-68er/ alle sind happy, denn der Testsieger rappt wieder

Die Beginner haben Max wohl gehört, denn sie beginnen mit dem Song. Das Publikum ist textsicher – „Lörrach seid ihr bereit?“, ruft Eizi Eiz (a.k.a. Jan Delay) ins Mikrofon.

Die Beginner lächeln – wie Max

In der Luft liegt der Geruch von Gras – Max weiß wahrscheinlich noch nicht, was dieser süßliche Duft bedeutet. Wenn alle anderen im Publikum – von der schwangeren Mittdreißigerin über den mitrappenden Mittfünfziger bis hin zu Kindern mit Füchse-Jutebeutel, Teenies mit Füchse-Caps, Studenten mit Füchse-Shirts – die Hände hochstrecken, im Takt wippen und springen macht Max das auch. Er lächelt.

Und der Hafen der ist das Herz, die Bassline/ Fuck Internet, wir war’n schon immer mit der Welt eins/ International, weite Seen und weiter Horizont/ in Deutschland sind wir damit fast allein wie Robinson.

Zu dem langsamen Song bewegen Denyo und Eizi Eiz den Arm von links nach rechts. Das Publikum tut es ihnen nach, zack Lächeln sie genau wie Max. DJ Mad thront so oder so oben am DJ-Pult und strahlt eine innere Ruhe plus Lächeln aus. Wenn Musikern nach so vielen Jahren die Dankbarkeit noch anzusehen ist, ist das sympathisch. Das Lächeln der Beginner für Publikumsreaktionen ist an diesem lauen Sommerabend oft zu sehen. Beim City-Blues ist etwas Sehnsucht zu spüren, nach dieser Stadt zwischen Elbe und Alster von der die Beginner so oft erzählen. Nur eines wird in diesem Moment nicht vermisst: Das Hamburger Schietwetter.

Zwei Väter des Hip-Hops

Die Beginner sind nicht alleine da: „Sie waren unsere Vorbilder und die Mitbegründer des Hip-Hop in den 80er Jahren“, näselt Eizi Eiz. „Ohne sie, wären wir nicht hier“, ergänzt Denyo. Die Heidelberger Torch und Toni-L kommen auf die Bühne geschlendert – 50 Prozent von Advanced Chemistry und damit zwei Väter des Hip-Hops sind da. Weiß Max überhaupt, wer das ist? Egal, hauptsache Hip-Hop. Die Lines sitzen und Torch und Toni-L verkörpern vor allem Eines: Absolute Bühnen-Coolness – Nicken zum Takt, machen hier und da ein Peace-Zeichen. Etwas selbstironisch, darf das Lied „Wir waren mal Stars“ nicht fehlen:

Wir waren mal Stars. Die Karriere ist vorbei das war´s/ Ihr rockt die Charts und wir hocken in den Bars

Sie performen drei Songs, oder waren es vier? Die Zeit rast. Später werden sie nochmal auf die Bühne kommen. An mehr, als dass es gut war, erinnere ich mich nicht

Dann spielt Jan Delay „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, seine erfolgreichste Single:

Irgendwie fängt irgendwann/ irgendwo die Zukunft an/ Ich warte nicht mehr lang

Ich kann mit Max mitfühlen. Plötzlich bin ich selbst wieder neun Jahre alt: Ich stehe immer noch auf dem Lörracher Marktplatz. Es ist Stimmen. Auch ich erlebte hier mein erstes Konzert. Vorne auf der Bühne steht Nena und singt genau das gleiche Lied. Doch ich sehe sie nicht, bis mein Vater mich auf seine Schulter nimmt. An mehr, als dass es gut war, erinnere ich mich nicht.

Max geht es gerade ähnlich: Er sieht nichts. Immer wieder muss ihn sein Vater hochheben. Manchmal hält er dann das Smartphone seines Vaters in der Hand und filmt, sowohl die Bühne, als auch den vollen Marktplatz. An wie viel wird Max sich später einmal erinnern? An den Moment, in dem das gesamte Publikum in die Hocke geht, nur um gleichzeitig mit den Beginnern wieder hochzuspringen?

Die Bühne besteht aus einer Treppe mit LED-Lichtern, die zusammen einen Bildschirm ergeben. Während der Songs sind verschiedene Animationen auf der Treppe zu sehen: Zu „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ zeigt die Treppe eine Unterwasserwelt. Immer wieder taucht aus dem Hintergrund ein Taucher auf, der ein Schild mit der Aufschrift „Nazis raus!“ in der Hand hält. Stark!

Ich bin kein Ausländer, Aussiedler, Tourist, Immigrant/ Sondern deutscher Staatsbürger und komme zufällig aus diesem Land/ Wo ist das Problem? Jeder soll gehn, wohin er mag/ Zum Skifahren in die Schweiz, als Tourist nach Prag/ Zum Studieren nach Wien, als Au-Pair nach Paris zieh’n/ Andere wollen ihr Land gar nicht verlassen, doch sie müssen fliehen

Gemeinsam mit Torch und Toni-L wird ‚Fremd im eigenen Land‘ gesungen. „Dieser Song ist aus einer anderen Zeit, aber er ist heute genauso aktuell wie damals“, sagt Denyo. Von Lörracher Seite gibt es einen Applaus, der zustimmt.

Max spricht das Urteil

„Sie müssen als Zugabe ’Liebeslied’ spielen. ’Liebeslied’ ist immer der letzte Song!“, ruft ein Wohooo-Girl hinter mir, als die erste Zugabe gespielt wird – die nicht Liebeslied ist. Beim darauffolgenden Song behält sie aber recht:

Ihr wollt ein Liebeslied,/ihr kriegt ein liebes Lied!/Ein Lied, dass Ihr liebt!

Nachdem die Beginner ein zweites Mal von der Bühne gehen, scheint unklar, ob sie nochmal zurückkommen. Doch die Treppe leuchtet weiter in rot. DJ Mad kommt unter tosendem Applaus zurück. Mit ‚Danke!‘, dem Song von 2004, verabschieden sie sich, während ein Huhn – besser gesagt eine Person in einem Huhnkostüm, die zur Bühnenshow gehört – Crowdsurfing macht.

Max beobachtet das Szenario, während sein Vater ihn nochmals hochhält, mit vor Staunen weit geöffneten und leuchtenden Augen. Und das Fazit von Max zu seinem ersten Konzert? „Cool!“

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