
„Lina, Lina, Lina!“ schallt es durch das Seeparkstadion in Freiburg. Eine Mädchen-Gruppe feuert ihre Klassenkameradin beim Weitsprung an. Es sind Bundesjugendspiele der Schülerinnen und Schüler des Rotteck-Gymnasiums. Auf der Tartanbahn müssen sich die Schüler im Sprint beweisen. Und wer wirft am weitesten auf dem Rasen? Messen und messen lassen – und danach gibt es Urkunden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf fudder.de und in der Badischen Zeitung
American Football und Selbstverteidigung
Im Schulalltag werden mittlerweile andere Ansätze verfolgt: In der Sporthalle des Rotteck-Gymnasiums fragt Jonathan Schaller seine Schüler, wie sie den Unterricht fanden. „American Football liegt mir nicht so. Aber sonst war alles super“, sagt ein Siebtklässler, der den Daumen leicht nach rechts versetzt hält. Der Rest der Jungsgruppe streckt den Daumen nach oben.
„Ich mache das oft, um zu sehen, ob mein subjektiver Eindruck stimmt“, sagt Jonathan Schaller. Der 36-jährige Sport- und Politiklehrer hat erst vor ein paar Wochen sein Referendariat abgeschlossen. „Ich sehe so schnell, ob jemand nicht genügend miteinbezogen wurde oder nichts mit der Sportart anfangen konnte.“ Kooperativen Führungsstil nennt er das. Er findet es wichtig, mit den Schülern zu besprechen, was Sinn und Ziel einer Übung ist, um alle zu mündigen Sportlern zu erziehen.
Eine andere Unterrichtseinheit steht an: „Wie befreit man sich aus einem Würgegriff?“, fragt Schaller in die Runde. Dann wiederholt er mit der Klasse die Erste-Hilfe- und Selbstverteidigungs-Übungen, die die Schüler in den vergangenen Wochen bereits gelernt haben. „Ich glaube, es ist wichtig, wie unterrichtet wird und nicht was“, sagt er. „Ich merke aber, dass die Schüler teilweise wollen, dass ich autoritär bin. Das muss ich auch sein, wenn es um Regeln, die Sicherheit oder Rangeleien geht.“ An diesem Montag muss Schaller trotz des körperbetonten Football-Spiels nicht eingreifen.
Klassische Sportrichtungen wie Ballsport, Turnen oder Leichtathletik gehören aber auch am Rotteck noch zum Schulsport. „Die sind immer noch zeitgemäß und in unserer Gesellschaft verankert“, sagt Schaller. „Es ist aber gut, den Unterricht zu öffnen.“ Abwechslung allein ist keine Garantie, dass Schüler Spaß und Lust auf Sport haben – manchmal ist einfach Didaktik gefragt. „Ich hatte einen Schüler, der mir jede Stunde gesagt hat, dass Akrobatik nichts für ihn ist“, sagt Schaller. „Ich war schon fast genervt, dass er sich nicht darauf einlassen wollte. Doch als er selber üben und eigene Figuren einbringen durfte, hatte er Erfolgserlebnisse. Am Ende hat er die Einheit mit ’Sehr gut’ abgeschlossen.“
Individueller Fortschritt statt reine Bestleistung
Wie man Schüler motiviert ist ein wichtiger Teil des Studiums und wird am Institut für Sport und Sportwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität vermittelt. „Wir haben gerade in der Vorlesung gelernt, dass es wichtig ist, jedem Schüler seinen individuellen Fortschritt aufzuzeigen“, sagt etwa Nicolas Müller-Lancé, der im vierten Semester Sport und Deutsch studiert.
Ein Schritt kann dabei sein, die persönliche Verbesserung durch den Unterricht zu messen – zum Beispiel die Zeiten über 100 Meter Kraulen vor und nach mehreren Wochen Unterricht. Der 21-Jährige findet es wichtig, als Sportlehrer permanent selbst motiviert zu sein: „Ich glaube, das überträgt sich auf die Schüler.“
Sportlehrer sind typischerweise Menschen, die selbst im Sportunterricht erfolgreich waren. Müller-Lancé glaubt, dass er später auch den Schülern gerecht werden kann, denen Sport nicht so leicht fällt, obwohl er selbst nie Probleme damit hatte: „Jeder ist in irgendeinem Bereich schlecht. Bei mir war es Mathe. Ich kann mich da reinversetzen. Mein Ziel ist es, dass jeder Spaß an meinem Sportunterricht hat.“
Die Sportstunde so zu gestalten, dass sie allen Spaß macht, hält Ines Armbruster für unmöglich. Trotzdem findet die 21-Jährige, die im achten Semester Sport und Englisch auf Gymnasiallehramt studiert, dass nicht nur der Leistungsgedanke im Vordergrund stehen sollte: „Ich möchte später unbedingt Sportarten unterrichten, die nahe an der Lebenswelt der Kinder sind, wie etwa Break-Dance oder Ultimate Frisbee.“
Sport ist in Baden-Württemberg ein Pflichtfach, dass an allen Schulen von der fünften bis zur zehnten Klasse mindestens zwei Stunden pro Woche unterrichtet wird. Der hohe Anspruch des Kultusministeriums ist, dass Sportunterricht Brücken zwischen Menschen baut, Teamgeist lehrt und das Bewusstsein stärkt, dass sich körperliche Anstrengung lohnt.
„Keine Gegenbewegung“ steht auf einem Schild, das auf dem Boden in der Humboldthalle des Kant-Gymnasiums in Weil am Rhein liegt. Daneben liegt eine Zeichnung, die den Bewegungsablauf für das Baggern beim Volleyball zeigt. Felix Klausmann, der seit zwei Jahren Sport, Geografie und Latein unterrichtet, benutzt gerne selbstgebastelte Sporttheorie-Plakate. Der 31-Jährige bespricht mit seinen Schülern, wie bestimmte Bewegungssituationen auszusehen haben. Dann lässt er sie sich gegenseitig bewerten. „In der Mittel- und Oberstufe finde ich das Schüler-zu-Schüler-Feedback wichtig“, sagt er. „So sehen sie die Bewegungsmerkmale an sich selbst und lernen gleichzeitig die Theorie. Außerdem nimmt ein Schüler die Kritik eher an, wenn ein Freund kritisiert.“
Genau wie sein Freiburger Kollege Jonathan Schaller findet auch Felix Klausmann das freie Gestalten des Unterrichts wichtig: Er lässt die Schüler eigene Koordinationsstationen erfinden oder denkt sich Spiele wie „Schuh-Hockey“ aus. „Ich möchte neben den Grundsportarten immer wieder etwas einbauen, was anders ist“, sagt er. Dass Freiheit im Sportunterricht gut ist, wurde laut Klausmann auch an höherer Stelle registriert: „Im Bildungsplan heißt es nicht mehr ’Tanz und Gymnastik’ sondern ’Bewegen und Gestalten’.“