
Laut BZ-Recherchen soll es auf der Ausländerbehörde im Kreis Emmendingen vermehrt zu diskriminierenden Aussagen gekommen sein. Die Dunkelziffer solcher Fälle ist wohl hoch. Ein Gesetz könnte helfen.
Die baden-württembergische Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung (LAG) fordert ein Gesetz, das in solchen Fällen hilft. Wie realistisch diese Forderung ist und warum nicht jeder absichtlich diskriminiert, darüber sprach Tamara Keller mit Annette Joggerst vom Antidiskriminierungsbüro Freiburg.
BZ: Frau Joggerst, wie oft kommt es Ihrer Einschätzung nach vor, dass auf Behörden im Land diskriminiert wird?
Annette Joggerst: Wir haben seit vergangenem Jahr eine dreimal so hohe Beratungszahl wie zuvor – von 35 auf über 100 Anfragen. Die Tendenz ist für dieses Jahr gleich. Das liegt zum Teil an Corona. Aber unserer und der Einschätzung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach ist ein weiterer Grund, dass Rassismus und rassistische Diskriminierung auch durch die „Black Lives Matter“-Bewegung seit dem letzten Jahr mehr im Fokus sind. Ein Teil dieser Fälle sind tatsächlich auch rassistische Diskriminierungen auf Ämtern. Aber im Grunde gilt: Diskriminierung kann überall passieren, wo Menschen mit Menschen zusammenkommen und wo es ungleiche Machtverhältnisse gibt. Nur wenige Betroffene machen ihre Erfahrungen öffentlich, und längst nicht alle kommen zu uns. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.
„Nicht jeder hat die Kraft, sich zu wehren“
BZ: Warum ist es so schwer, von sich aus zu sagen: „Ich werde diskriminiert“?
Joggerst: Zwischen 2015 und 2020 war ich in vielen Geflüchtetenunterkünften und habe dort Workshops gegeben – ein Teil dieses Programms waren Informationen über Diskriminierung und Antidiskriminierung. Wir haben die Menschen, die relativ neu vor Ort waren, darauf hingewiesen, dass in Deutschland niemand diskriminiert werden darf und dass es entsprechende Gesetze wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) oder das Grundgesetz gibt, die das verhindern sollen. Viele kennen diese Gesetze noch nicht. Manchmal wird von Geflüchteten die Haltung vertreten: „Wir sind hierhergekommen. Es ist klar, dass das manchen Personen nicht gefällt, und deshalb müssen wir Diskriminierung einstecken und aushalten.“ Da haben wir versucht entgegenzuwirken: Es ist nicht okay, wenn Menschen diskriminieren – und in Deutschland kann man sich dagegen wehren. Auch erleben Menschen, dass sie mit ihren Diskriminierungserfahrungen nicht ernst genommen werden. Wir leben alle in einem Klima, in dem Alltagsrassismus und Alltagssexismus gesellschaftlich bagatellisiert werden.
„Wir selbst erleben eher, dass Menschen sehr unter Druck stehen“
BZ: Sie haben bereits das Machtgefälle angesprochen: Inwieweit muss sich die Antidiskriminierungsstelle damit auseinandersetzen, dass auch Betroffene mal ausfällig werden?
Joggerst: Wir selbst erleben eher, dass Menschen sehr unter Druck stehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, wenn er sich in einer absoluten Notsituation befindet und zum Beispiel Klarheit möchte, was seinen Aufenthalt betrifft oder Angst vor einer Abschiebung hat, nicht gerade immer ruhig und sachlich bleiben kann. Ich denke, das ist ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, warum das nicht einfach ist. Aber die Person gegenüber ist ja in einer Entscheiderposition und muss diese Angst nicht haben.
Hintergrund: Betroffene beklagen Diskriminierung auf der Emmendinger Ausländerbehörde
BZ: Wie helfen Sie Betroffenen von Diskriminierung dabei, sich zu wehren?
Joggerst: Das ist der springende Punkt: Nicht jeder hat die Kraft, sich zu wehren, oder auch die finanziellen Mittel, um zu klagen. Auch haben viele der Betroffenen schon psychisch viel durchgemacht und erfahren dadurch wiederum eine zusätzliche psychische Belastung, was oft zur Überbelastung führt. Es gibt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die besagt, dass Integration – auch in den Arbeitsmarkt – erschwert werden kann, wenn Menschen viel Diskriminierung erleben. Wir bei der Beratungsstelle müssen immer wieder neu schauen, was die beste Intervention ist. Manchen Personen reicht es, wenn sie es einfach mal erzählt haben, andere Leute wollen tatsächlich klagen. Wir unterstützen auch beim Verfassen von Beschwerdebriefen oder Dienstaufsichtsbeschwerden, die vor allem an Behörden verschickt werden.
„Auch die Frist von acht Wochen, in der man eine Diskriminierung melden kann, ist sehr kurz“
BZ: Weitere Personen aus den Helferkreisen berichten im Emmendinger Fall, dass nach Beschwerden nichts passiert. Sie setzen sich für eine Initiative ein, die dieses Problem auf mehreren baden-württembergischen Behörden erkannt hat und ein Gesetz fordert. Wie kam es dazu?
Joggerst: Aktuell ist es tatsächlich so, dass, wenn es solche Beschwerden an Ämter und Behörden gibt, sich die Sache mit deren Verneinung der Sache erledigt hat. Und auch das AGG hat noch einige Lücken. Einige Merkmale sind dort noch nicht verankert: Der ganze öffentliche Bereich wie Schulen, Hochschulen, Polizei und Behörden sind davon ausgenommen. Auch die Frist von acht Wochen, in der man eine Diskriminierung melden kann, ist sehr kurz. Im Vergleich zum Beispiel zu Frankreich hinkt Deutschland da hinterher: Während in Frankreich das in einer zentralen Gesetzgebung gelöst wurde, fehlen beim deutschen AGG der Bildungssektor und die Behörden – hier muss es föderalistisch gelöst werden. Im Frühjahr zu den Landtagswahlen hat die Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung (LAG) Baden-Württemberg ein Landesantidiskriminierungsgesetz für Baden-Württemberg gefordert – nach dem Vorbild, wie es im Sommer 2020 im Berliner Landtag umgesetzt wurde.
BZ: Was würde so ein Gesetz bringen?
Joggerst: Bei Diskriminierungsvorwürfen müssten bei einer klaren Beweislage die Ämter und Behörden beweisen, dass sie nicht diskriminiert haben. Sie müssten ebenso präventiv agieren und zum Beispiel ihre Mitarbeiter schulen, um Diskriminierungsschutz zu leisten. Es hilft also nicht nur den Betroffenen, sondern gibt auch den Behörden Rechtssicherheit. Zudem ist es ja nicht so, dass Menschen immer bewusst diskriminieren. Manchmal ist es auch Unwissenheit oder einfach auch, dass nicht viel Eigenreflexion oder Auseinandersetzung mit Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus erfolgt ist. Viele von uns sind in einem Umfeld aufgewachsen, wo Menschen, die zum Beispiel eine andere Herkunft oder eine andere sexuelle Präferenz haben, in Bilder- oder Schulbüchern gar nicht auftauchen oder wenn, dann klischeehaft oder abwertend dargestellt werden. Mit diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, Diskriminierungen sichtbar zu machen und den Betroffenen Schutz und Rechtssicherheit zu gewähren. Dafür wäre das Gesetz ein guter und wichtiger Schritt.
BZ: Hat die Forderung Früchte getragen?
Joggerst: Ja, tatsächlich: Das Landesantidiskriminierungsgesetz ist jetzt im Koalitionsvertrag. Allerdings ist es noch nicht ausformuliert. Wir hoffen aber, dass es nicht nur bei der Option bleibt. Und wir haben, sobald es an eine konkrete Ausformulierung geht, die Forderung, dass sowohl die mitunterzeichnenden Betroffenenverbände als auch die Beratungsstellen der LAG miteinbezogen werden.
Zur Person: Annette Joggerst (57) arbeitet als Beraterin beim Freiburger Antidiskriminierungsbüro von Pro Familia mit den Schwerpunkten Diskriminierung, Antidiskriminierung und politische Arbeit. Die Anlaufstelle gibt es seit 2011. Sie ist Teil der Landesarbeitsgemeinschaft Antidiskriminierungsberatung (LAG) Baden-Württemberg.