
Idil Baydar wird bedroht. Die Kabarettistin hat bisher acht Drohnachrichten erhalten – unterzeichnet vom „NSU 2.0“. Die ersten Empfängerinnen dieser Drohschreiben waren alles Frauen, auch wenn Schreiben inzwischen auch an Männer adressiert wurden. Doch die Morddrohungen in Verbindung mit Vergewaltigungsfantasien und sehr sensiblen Daten – die von hessischen Polizeicomputern abgefragt wurden – erreichen eine neue Dimension von Hass gegen Frauen. Das ist keine Überraschung.
Dieser Text erschien zuerst in der Badischen Zeitung
Die Anzeichen, wie schlimm die Lage wirklich ist, waren schon lange da: Attentäter Anders Breivik schrieb 2011 in seinem „Manifest“ ganze Absätze darüber, dass man sich daran gewöhnen müsse, Frauen umzubringen. Dann griff er zur Waffe und brachte auf der Insel Utoya 77 Menschen um – 41 davon Frauen.
„Feminismus ist schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude“, sagte der Attentäter von Halle in seinem Livestream. Eine gegen Frauen gerichtete Aussage, die auf einer antisemitischen Verschwörungserzählung beruht. Dann spielte er einen Rap-Song ab, der den Attentäter Alek Minassian von Toronto ehrt. Dieser tötete im April 2018 zehn Menschen – acht davon Frauen. Diese Attentate sind durch mehrere Dinge verbunden. Zwei dieser Anknüpfungspunkte sind: Die männlichen Attentäter gehören zum rechtsextremen Spektrum. Sie eint der Hass gegen Frauen.
Das Fazit der Amadeu-Antonio-Stiftung: „Eine frauenfeindliche Haltung ist ein elementarer Bestandteil von rechtsextremer Weltanschauung.“
In der Forschung findet der Diskurs statt. In der öffentlichen Diskussion rückt die Betrachtung des Frauenhasses oft in den Hintergrund. Dabei gilt der Hass gegen Frauen sogar als „Einstiegsdroge“ in die rechtsextreme Szene. Minassian postete vor seinem Toronto-Attentat: „Die Incel-Rebellion beginnt“. Diese Bewegung ist eine Selbstbezeichnung von Männern, die in Online-Foren zusammenkommen, wo sie weitgehend anonym agieren können und die von sich behaupten, unfreiwillig ohne Sex zu leben und Frauen dafür verantwortlich machen. In den anonymen Foren radikalisieren sie sich und schaffen ihren Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien Raum. Die Herabwürdigung des weiblichen Körpers wird besonders in den Fokus genommen.
Auch wenn Frauenhass ein verbindendes Element unter den neuen Rechten ist, sollte das nicht zu dem Bild führen, das seien arme Kerle, die keine Frau abbekommen. Das hieße nämlich, die nicht vorhandene Frau sei daran Schuld, dass der Mann seinen Hass auslebt. Das Problem ist aber nicht eine fehlende Frau in seinem Leben, sondern dass diese Männer ein Gefühl der Enttäuschung in aktives Handeln umwandeln: Und zwar in eines, das ohne Gewalt nicht auskommt. Von ihnen geht eine Gefahr aus, gegen die nach wie vor zu wenig getan wird.
Manche trifft es in doppelter Intensität
Beliebte Ziele sind Frauen, die sich öffentlich klar, deutlich und eloquent positionieren. In doppelter Intensität trifft der Hass Personen, denen gegenüber mit Fremdenfeindlichkeit agiert und reagiert werden kann: Trans, inter, non-binäre Personen (die sich weder mit Frau noch Mann als Geschlecht identifizieren), gleichgeschlechtliche Paare und Personen mit Migrationshintergrund.
Personen aus diesen Spektren äußern sich schon lange dazu, dass der Hass eine neue Gewaltstufe erreicht hat. So zum Beispiel die in der Türkei geborene Journalistin und Autorin Sibel Schick. Sie ist regelrecht zur Zielscheibe von rechtem Hass geworden. Immer wieder bezieht sie dazu Stellung – nur um am Ende wieder mehr Hass abzubekommen. „Meine Priorität ist, mich vor dem Faschisten zu schützen, der mich vergewaltigen und morden will, um eine politische Botschaft zu senden“, twitterte sie vor kurzem zu ihrer Arbeit. Am vergangenen Dienstag, wenige Tage nach ihrem Tweet, wird bekannt: Auch an sie sind jetzt die Drohungen des „NSU 2.0“ gerichtet. Eine Reaktion, die zeigt: Der oder die Drohbriefschreiber sind berechenbarer als gedacht. Müsste da nicht auch ein präventives Mittel zu finden sein? Die Radikalisierungsprozesse der Frauenhasser sollten mehr in den Blick genommen werden.
Den Frauen zuhören, die nicht schweigen
„In der rechten Szene gelte ich als eine Trophäe“, sagte Idil Baydar der Welt am Sonntag. Die acht Schreiben des „NSU 2.0“ hat sie alle angezeigt. Zuerst wurden die Ermittlungen ohne Erfolg eingestellt: Täter nicht identifizierbar. Dass nun ein Sonderermittler agiert, ist allein dem Fakt zu verdanken, dass eine Verbindung zu Abfragen auf hessischen Polizeicomputern hergestellt wurde. Der Fall des „NSU 2.0“ ist besonders heikel, die Gesellschaft sollte aber ab sofort daraus lernen: Es braucht mehr Sensibilität für das Thema. Dabei hilft: den Frauen zuhören, die nicht schweigen, egal wie viele Morddrohungen sie bekommen. Denn sie wehren sich gegen das Ziel der Täter: Sie lassen sich nicht mundtot machen.