
„Rap fatale“ ist auf dem Graffito auf dem gleichnamigen Instagram-Account zu lesen. Unter dem Wort Rap ist ein wohlgeformter Busen zu sehen und das t ist kein Buchstabe sondern ein gestreckter Mittelfinger: Eigentlich sollte Ende April in Freiburg das erste „female* focused Rap Festival“ stattfinden – doch wie alle Veranstaltungen derzeit ist das Festival wegen der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben. Im Freiburger Jugendkulturzentrum Artik sollten innerhalb von zwei Tagen 13 bundesweite bekannte und lokale Künstlerinnen aus den Bereichen Rap und HipHop auftreten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Badischen Zeitung
Das Ziel: der Masse an HipHop-Festivals etwas entgegen zu setzen. Denn viele laden nach wie vor deutlich mehr männliche Künstler ein. Zuletzt hatte das größte HipHop-Festival Deutschlands, das Splash, nur 21 Frauen bei 121 Acts zu Gast und das Schweizer Openair Frauenfeld – das größte Hiphop-Festival Europas – entsprach mit fünf von 61 Künstlern nicht gerade seinem Namen.
Doch das Geschlecht allein sagt noch nichts über die Qualität und Aussagekraft der Musik aus – zumindest nicht, wenn es nach einer der deutschsprachigen Rapgrößen geht: Sookee, die sich mit ihren Texten sehr stark politisch positionierte und für Gleichberechtigung einsetzte. Anfang März kehrte sie der Szene den Rücken. Zu ihrem Abschied blieb die von ihr gewohnte Kritik nicht aus. „Feminismus ist ein Business geworden. Ja sogar feministischer HipHop befindet sich auf dem Weg zur Verwertungslogik“, sagte die 36-Jährige dem Tagesspiegel. „Gegenwärtig wird ja jede Frau, die an einem Mikrofon steht, schon als feministisch bezeichnet – sogar wenn sie sexistische Sachen rappt oder mit Sexisten zusammenarbeitet. Das geht alles als feministisch durch, weil es wirtschaftlich funktioniert.“ Hat Sookee recht?
Ausreden zählen nicht mehr
Der Rap und die Frauen: Das ist eine alte Diskussion, die sich weiterentwickelt hat und sich auf vielen unterschiedlichen Ebenen abspielt – zwischen Sichtbarkeit, Zurückeroberung und Feminismus. Wer sie verstehen will, muss die Entstehung des Rap verstehen. In den 70ern in der South Bronx New Yorks galten Rap und HipHop als Werkzeug zur Selbstermächtigung: Von der Gesellschaft benachteiligte Jugendliche nutzten ihn, um Missstände offen zu thematisieren. „Das macht es für mich selbstverständlich, dass HipHop im Kern antirassistisch, aber eben auch feministisch ist, auch wenn das natürlich ein starker Gegensatz zum öffentlichen Bild vom Mainstream-Rap ist“, sagt Lina Burghausen. Die Musikpromoterin, Bloggerin, Autorin und DJ hat dafür gesorgt, dass das Vorurteil „Es gibt keine Frauen im Rap“ nicht mehr zählt: Ende 2018 startete sie auf ihrem Blog die für ein Jahr angelegte Reihe „365 Female MCs“. 365 Rapperinnen stellte sie dort vor, für jeden Tag im Jahr eine. Mittlerweile läuft das Projekt auf einer eigenständigen Blogseite weiter und ist zu einer Datenbank mit über 1500 Rapperinnen geworden – die sich fast jeden Tag noch erweitert. Neben 365 Female MCs machen zusätzlich soziale Netzwerke wie Instagram es Frauen und Mädchen einfacher, sich selbst auszudrücken, eine Öffentlichkeit zu finden, sich untereinander zu vernetzen und zu bestärken.
„Female MCs werden im HipHop leider noch immer nicht mit derselben Selbstverständlichkeit behandelt wie männliche Rapper“, sagt Burghausen. Einzelne Künstlerinnen, die im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, werden von vielen nur als die Ausnahme im deutschen Rap gesehen. Lange wurde Frauen im Rap explizit die Kategorie „Frauen-Rap“ zugeordnet. Ein Stempel, der die Künstlerinnen nach außen brandmarkte und deutlich machte: Es ist egal, worüber sie rappen, am Ende sind sie Frauen und nur eine Extra-Kategorie der Bewegung, kein Teil davon. „HipHop ist am Arsch / es ist ohne Gehalt / Wortgerüste, Koks und Brüste und reale Gewalt“, rappt Babsi Tollwut in ihrem Song „HipHop ist am Arsch“. Das mittlerweile aufgelöste Duo SXTN hat einen Song namens „Fotzen im Club“. Was sich auf den ersten Blick widerspricht, kann durchaus beides feministisch sein: Auf der einen Seite werden Missstände direkt angesprochen, auf der anderen wird sich des Stilmittels bedient, um bestimmte Begriffe zurückzuerobern.
In einer Endlosschleife gefangen
„Gerade für viele Rapperinnen geht es in expliziten Texten, die vielleicht mit patriarchalen Klischees spielen, darum, sich darüber zu stellen und sie zu überwinden“, sagt Burghausen. Frauenfeindlichkeit ist nach wie vor im Rap präsent, aber das Engagement von Rapperinnen wie Sookee hat Spuren hinterlassen. Es ist weniger selbstverständlich geworden, Frauen zu beleidigen. Trotzdem ist das Thema immer wieder in der gleichen Endlosschleife gefangen: Journalistinnen prangern Texte über die Verherrlichung von sexueller Gewalt und Sexismus an, weibliche Fans fragen sich, ob sie Feministin sein und diese Musik trotzdem feiern können, Künstlerinnen müssen entscheiden, ob sie mit Künstlern, zu deren Image homophobe und frauenfeindliche Texte gehören, zusammenarbeiten wollen. Am Ende sind es nur wieder Frauen, die auf die Problematik hinweisen oder sich in ihrem Alltag damit auseinandersetzen müssen. Von wirklicher Gleichberechtigung lässt sich erst reden, wenn sich Frauen im Rap nicht mehr zu ihrem Geschlecht äußern müssen.
„Ich denke, solange unsere Welt so stark geprägt ist von Sexismus, werden auch im HipHop misogyne Inhalte nicht verschwinden“, sagt Burghausen. Für sie ist es ein Widerspruch, dass so viele Menschen aus der Szene, die als Empowerment-Tool für Benachteiligte erschaffen wurde, die größte marginalisierte Gruppe übergehen. Ihre Plattform hat hingegen einen neuen Raum geschaffen. Dort geht es nicht mehr um das Geschlecht, sondern um die Musik und die Geschichte der Rapperin. Es ist das Ziel, dem sich auch Rap fatale verschrieben hat: Frauen den Raum schaffen.