
„Weiße Flecken“ nennt der „Landesaktionsplan Baden-Württemberg gegen Gewalt an Frauen“ von 2018 die Landkreise, die weder über Einrichtungen noch über Fachberatungsstellen verfügen – darunter befindet sich auch der Landkreis Emmendingen. Ein Frauenhaus gibt es im Kreis nach wie vor nicht, dafür neue mobile Beratungsstellen und laut Landratsamt ein umfassendes Versorgungssystem. Das vorrangige Problem ist nicht der Platzmangel in den Frauenhäusern, sondern die Unterbringung nach dem Aufenthalt.
Im Landkreis selbst könnte auch die Anonymität fehlen
Frauen, die im Kreis Emmendingen von häuslicher Gewalt betroffen sind, können sich entweder an psychosoziale Beratungsstellen wenden oder Kontakt zu den Frauenhäusern in Freiburg oder im Ortenaukreis suchen. „Aufgrund der Landkreisgröße und der Schwierigkeit, in kleinen Sozialräumen die Anonymität eines Frauenhauses zu wahren, wurde bisher im Landkreis kein eigenes Frauenhaus eingerichtet“, sagt Yvonne Baum, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises. Seit rund 40 Jahren gäbe es stattdessen einen Kooperationsvertrag zwischen dem Kreis und dem Frauen- und Kinderschutzhaus Freiburg (FKSH). „Die Anlaufstelle in Freiburg ist einfach mit öffentlichen Verkehrsmitteln von allen Orten im Landkreis zu erreichen“, so Baum. „Mehrere interne Auswertungen haben ergeben, dass das für den Landkreis die beste Lösung ist.“
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Doch reicht dieser Platz nun auch während der Corona-Pandemie aus? Wie eine gemeinsame Recherche von Correctiv.Lokal und der BZ zeigt, ist die Situation der Frauenhäuser in ganz Baden-Württemberg nach wie vor nicht optimal. Während der Europarat einen Frauenhausplatz pro 7500 Einwohner empfiehlt, sind in in Baden-Württemberg gerade mal 804 Plätze verfügbar. Das ergibt einen Schnitt von 0,54 Plätzen pro 7500 Einwohner. Rechnet man die Empfehlung des Europarates auf Emmendingen herunter, müsste es im Landkreis 22 Frauenhausplätze geben. Die Realität sieht deutlich anders aus. Ungefähr 20 Prozent der Frauen, die in Freiburg Schutz suchen, kommen aus dem Landkreis Emmendingen.
Beim Freiburger Frauenhaus hat die Pandemie die Lage vor Ort noch verschärft. Das FKSH bemühe sich schon seit Monaten, seine Räumlichkeiten in möglichst unmittelbarer Nachbarschaft zur bestehenden Einrichtung zu erweitern. Eine Erweiterung sei dringend notwendig, da die Nachfrage seit Jahren groß sei, sagt Ursula Schalk, Leiterin des Frauenhauses. Die Finanzierung sei bereits vorhanden, nur die passende Erweiterungswohnung lässt sich nicht finden.
Dass die Schutzwohnungen aus Hygienegründen nicht mehr so dicht belegt werden wie sonst, verstärke den Platzmangel zusätzlich. Seit Monaten würden daher zusätzliche Ausweichquartiere angemietet, beispielsweise eine Ferienwohnung im gleichen Stadtteil. Finanziert wird der Zusatzaufwand durch Zuschüsse des Landes, die es noch bis April 2021 geben soll. „Bisher konnte daher auch in dieser schwierigen Situation für alle von häuslicher Gewalt Betroffenen zumindest eine Übergangs- oder Notlösung gefunden werden“, sagt Schalk.
Offenburg musste 2020 Frauen aus Emmendingen abweisen
Dass immer eine Lösung gefunden werde, bestätigt auch der Pressesprecher der Polizei Freiburg, Michael Schorr. Trotzdem sagt er: Wenn die Kollegen anfragen, bekämen sie erstmal die Antwort: „Es ist alles belegt!“ Zur Not würden Hotelzimmer angemietet. Auch Petra Fränzen vom Frauenhaus in Offenburg sagt: „Was wir als problematisch sehen, ist, dass Freiburg immer voll ist.“ Viele der Frauen aus dem Kreis Emmendingen, die in Freiburg keinen Platz finden, werden nach Offenburg weitervermittelt. Die Zusammenarbeit klappt laut Fränzen gut. 2019 nahm das Offenburger Frauenhaus 18 Frauen und 25 Kinder aus dem Landkreis Emmendingen auf. 2020 waren es nur neun Frauen und elf Kinder: „Das hat damit zutun, dass wir selbst voll waren bis unters Dach“, sagt Leiterin Fränzen.
Als Grund für den Nachfrageanstieg macht sie eindeutig die Pandemie aus: „Wir hatten 30 Prozent mehr Beratungsanfragen und auch die Belegung im Haus ist um 30 Prozent gestiegen“, so Fränzen. Dabei hatte das Offenburger Frauenhaus noch im Januar 2020 von sechs auf 20 Plätze aufgestockt.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation der Badischen Zeitung mit Correctiv.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. Correctiv.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv, das sich durch Spenden von Bürgern und Stiftungen finanziert. Alle Texte finden Sie hier.
Zusätzlich verschärft hat sich durch die Pandemie auch die Art und Weise, wie die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in Offenburg reagieren müssen. Fränzen nimmt einen größeren Druck für die aufnehmenden Systeme wahr: „Wenn eine Frau die Möglichkeit hat, Kontakt mit uns aufzunehmen, braucht es oft eine ganz schnelle Lösung, nach dem Motto: Mein Mann kommt um vier Uhr wieder bis dahin muss ich aus dem Haus sein.“
„Die betroffenen Frauen benötigen in aller Regel günstige Wohnungen, von denen es bekanntlich viel zu wenige in unserer Region gibt.“
Yvonne Baum, Gleichstellungsbeauftragte Emmendingen
Die Gleichstellungsbeauftragte Yvonne Baum stellt noch ein weitaus größeres Problem fest: Nach dem Frauenhausaufenthalt sei es häufig schwer, eine Wohnung für die Betroffene zu finden, sofern sie nicht in die ehemalige Wohnung zurückkehren könne. „Die betroffenen Frauen benötigen in aller Regel günstige Wohnungen, von denen es bekanntlich viel zu wenige in unserer Region gibt“, so Baum. Dies bestätigt auch das Frauenhaus Freiburg: Der Platzmangel im Frauenhaus und die Situation auf dem Wohnungsmarkt stünden im direkten Zusammenhang. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, sei sowohl für Frauen mit als auch ohne Kinder langwierig und schwierig. „Das hat oft lange Aufenthaltszeiten zur Folge und blockiert Neuaufnahmen über Gebühr“, sagt Ursula Schalk.
Wie der Landkreis Emmendingen hält auch das Frauenhaus in Freiburg die jetzige Lösung eines Frauenhauses mit integrierter Beratungsstelle am besten für die drei Landkreise Freiburg, Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen. So könne die Anonymität gewahrt werden und eine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit sei integriert und personell und finanziell so möglich. „Die Synergieeffekte haben sich personell und finanziell als sinnvoll und effektiv erwiesen“, so Schalk.
Seit Anfang Januar gibt es zudem ein neues Angebot: Zwei mobile Teams beraten im Landkreis betroffene Frauen – wegen Corona fanden die meisten Beratungsgespräche bisher aber telefonisch statt. Die Nachfrage aus Emmendingen ist laut dem FKSH derzeit noch überschaubar.
Info: Anfragen bei den Beratungsstellen sind seit Pandemiebeginn gleich geblieben
Eine Studie der TU München und des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass rund drei Prozent der Frauen in Deutschland im Frühjahr 2020 zu Hause Opfer körperlicher Gewalt wurden. Nur ein sehr kleiner Teil der befragten Frauen nutzte Hilfsangebote. Darauf weist die große Dunkelziffer im Bereich häuslicher Gewalt hin: Im Rahmen der Polizeistatistik vermutet die Bundesregierung eine Dunkelziffer von rund 80 Prozent. Die BZ hat vor Ort nachgefragt:
- Laut Michael Schorr, Pressesprecher der Polizei Freiburg, wurden laut Statistik in Kenzingen mit 22 Fällen von häuslicher Gewalt mehr Fälle aufgezeichnet als im Vorjahr (2019: 15), in Emmendingen waren es weniger, in Endigen blieb die Zahl gleich. Die Zahlen seien alle im niedrigeren zweistelligen Bereich. Die Polizei zieht das Fazit, dass es nicht mehr Fälle von häuslicher Gewalt durch Corona gab – zumindest keine, die sie in Zahlen nachweisen kann. Die Bundesregierung ging bei der Kriminalstatistik von 2019 von einer Dunkelziffer von 80 Prozent aus.
- Der Weiße Ring Emmendingen kann für den Kreis keinen Anstieg verzeichnen. „Tatsache ist aber, dass sich im Januar 2021 schon einige Hilfesuchende an uns gewendet haben, die häusliche Gewalt und Körperverletzung erlebt haben“, sagt Leiterin Monika Toussaint.
- Der Verein Wildwasser e.V. wertet gerade noch seine Statistik aus. Bisher lassen sich nur Aussagen zu Beratungsterminen machen: Mit 737 Beratungsterminen liegt der Wert ungefähr bei dem von 2019 (739). „Wir sind gespannt, wie sich die Anfragen entwickeln, wenn sich die Pandemie-Situation entspannt“, sagt Susanne Striegel. „Erfahrungsgemäß melden sich Betroffene erst später, um Hilfe zu holen.“
- Kathrin Joos vom Sozialdienst katholischer Frauen stellt fest, dass die Zahlen in der Sozial- und Lebensberatung gleichgeblieben sind: „Wir hatten über einige Wochen eine Stelle nicht besetzt und gleichzeitig war der Lockdown: Wir konnten also nicht mehr Beratungen anbieten, weshalb auch die Zahlen nicht gestiegen sind – was aber so gewesen wäre, hätten wir mehr Personal gehabt.“ Joos verweist auf die Bertelsmannstudie, laut der Vor-Ort-Angebote während des Lockdowns weniger genutzt wurden, dafür verstärkt das Hilfetelefon. „Eine leichte Tendenz nach oben haben nach unserem Eindruck aber Partnerschaftsprobleme“, so Joos.
- Bei der Familienberatung Emmendingen ist die Anmeldungen der Beratungswünsche von Eltern und Kindern im März und April 2020 deutlich unter das langjährige Mittel gefallen. „Insgesamt hat sich die Nachfrage in 2020 aber statistisch nicht signifikant verändert. Die Zahl aller Anmeldungen lag im Schnitt der vergangenen Jahre. Man könnte sagen, die im Frühjahr fehlenden Anmeldungen wurden im Herbst nachgeholt“, sagt Michael Reisch.